Antrag: Willkommenszentren einrichten - Kräfte und Ressourcen bündeln, klare Perspektiven schaffen

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Niedersachsen ist ein weltoffenes Land mit einer langen Einwanderungsgeschichte. Von den Flüchtlingen und Vertriebenen der Nachkriegszeit über die „Gastarbeiter“-Generationen, Schutzsuchende aus so vielen Ländern, bis zu den EU-Migrant*innen von heute: Unser Land lebt von dem Engagement und den Ideen der Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen ihre neue Heimat in unserem Land finden. Diese Vielfalt war und ist bereichernd für Niedersachsen.

Doch, egal aus welchem Grund die Menschen nach Niedersachsen kommen: Wir sehen die Chancen, wissen aber auch um die Herausforderungen.  

Der Landtag ist überzeugt, dass Zuwanderungsprozesse effektiver und stringenter gestaltet werden können und müssen. Zum einen, weil weiterhin zahlreiche schutzsuchende Menschen Niedersachsen erreichen. Zum anderen, weil wir zur Bewältigung des enormen Arbeitskräftemangels, der schon heute spürbar ist, auf absehbare Zeit auf Zuwanderung angewiesen sein werden.  

Im Zentrum sämtlicher Prozesse sehen wir dabei unsere Ausländerbehörden. Sie sind Visitenkarte einer Stadt oder eines Kreises, Dienstleister für Menschen und Betriebe. Unsere Ausländerbehörden sind zuständig für aufenthalts- - und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach dem Aufenthaltsgesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen. In Niedersachsen wurde diese Aufgabe, wie in allen Flächenländern, den Kommunen (Landkreisen einschließlich der Region Hannover sowie kreisfreien und großen selbstständigen Städten) übertragen. Das Land hat hingegen die ausländerbehördliche Zuständigkeit für die Bewohner*innen der Erstaufnahmeeinrichtungen (für Asylsuchende) sowie den Rückführungsvollzug, was über die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen wahrgenommen wird. Die Herausforderung ist, unter Berücksichtigung dieser festgelegten dezentralen Aufgabenstrukturen, die Erfüllung staatlicher Hoheitsaufgaben mit dem Ziel einer Willkommenskultur zu verbinden. Der Informations- und Beratungspflicht in den Kommunen, die auf Angebote, Hilfestellungen und die Beseitigung von Hindernissen ausgerichtet ist, kommt dabei großes Gewicht zu.

Selbst in diesem Sinne optimal arbeitende Ausländerbehörden können jedoch nur einen Teil der Bedürfnisse von Zuwander*innen abdecken, da diverse Zuständigkeiten bei anderen Behörden wie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Bundeagentur für Arbeit, den Sozialämtern oder der nichtbehördlichen Migrationsberatung liegen. Das schafft Hindernisse und führt zu Unverständnis und Verzögerungen. Der Landtag sieht hier dringenden Änderungsbedarf und möchte zwecks Abhilfe ein Modellprojekt „Willkommenszentren“ auflegen lassen, in dessen Rahmen eine entsprechende Kompetenzbündelung erprobt und evaluiert werden soll. Ziel muss es sein, grundsätzliche Lösungswege zu erkennen, dafür passende Verfahrensabläufe zu entwickeln, zu systematisieren und diese dadurch dauerhaft nutzbar für andere Behörden zu machen.

Dabei sind auch die Ziele und Erfahrungen des durch den Beschluss des Landtags vom 24.07.2014 (Drs. 17/1816) und der erfolgten Evaluierung (Drs. 17/6885) einzubeziehen. Im Rahmen des damaligen Modellprojektes wurden Kommunen ausgewählt, um durch einen umfassenden Prozess die organisatorischen, personellen und strukturellen Voraussetzungen für eine stärkere Serviceorientierung der Ausländerbehörden zu analysieren und diese durch den jeweiligen Rahmenbedingungen entsprechende Maßnahmen zu verbessern.

Der Landtag bittet deshalb die Landesregierung:

  • im Rahmen eines Modellprojekts „Willkommenszentren“ Zuwanderung gebündelt innerhalb einer Organisationseinheit zu bearbeiten, in der alle relevanten Akteur*innen aus dem Bereich der Zuwanderungspolitik (kommunale Verwaltung der Fachbereiche Ausländerangelegenheiten, Soziales, Integration, gesellschaftliche Teilhabe, Bildung/Jugend/Familie, Jobcenter, Bundesagentur für Arbeit, BAMF, Anerkennungsstellen für ausländische Bildungsabschlüsse, Migrationsberatung etc.) institutionalisiert zusammenarbeiten
  • sich an den Zielen und Methoden des Projekts „Wege ins Bleiberecht“ auch im Rahmen des Modellprojekts „Willkommenszentren“ zu orientieren
  • das Willkommenszentrum im Rahmen des Modellprojekts bei weiteren Optimierungsprozessen zur Verbesserung der Serviceorientierung und interkulturellen Ausrichtung zu beraten und zu begleiten
  • das Modellprojekt „Willkommenszentren“ mit Fachpersonal zu unterstützen, das über einschlägige Rechtskenntnisse und politische Fachkenntnisse, Fremdsprachenkenntnisse, Vor-Ort-Kenntnisse des Arbeitsmarktes und Integrationskenntnisse verfügt
  • das Personal des neu zu schaffenden „Willkommenszentren“ zu befähigen, alle Handlungsoptionen zu kennen und diese ebenso wie vorhandene Ermessensspielräume zielgerichtet und vollumfänglich zu nutzen
  • für eine beschleunigte Bearbeitung der Fälle innerhalb des neu zu schaffenden Willkommenszentrums die digitale Infrastruktur beschleunigt ausbauen und Datenschutzhemmnisse zu beseitigen
  • das Modellprojekt nach zwei Jahren zu evaluieren und dem Landtag darüber zu berichten.

Begründung

Kulturelle Vielfalt prägt den Alltag der Menschen, Behörden und Institutionen in Niedersachsen. Nach wie vor gilt es allerdings, diese als gesamtgesellschaftlichen Konsens zu verankern und insgesamt eine Willkommens- und Anerkennungskultur zu etablieren. Hier sind staatliche Institutionen zu allererst gefragt. Zuwandernde, die ihr Leben in Deutschland neu organisieren wollen, sind vielfach auf unterschiedliche Behördenkontakte angewiesen; die zuständige Ausländerbehörde ist neben der Meldebehörde dabei meist die erste Anlaufstelle.

Die ersten Erfahrungen mit diesen Behörden sind vielfach entscheidend für das Bild ausländischer Zuwander*innen von ihrer neuen Heimat. Sie sind somit die Visitenkarten des Landes und der Kommunen, und sie tragen in der Einwanderungsgesellschaft eine oft unterschätzte Verantwortung.

Der sorgsame Umgang und die sachliche Auseinandersetzung mit allen Aspekten, die Zuwander*innen betreffen, ist wegweisend dafür, mit welchem Erfolg die Zuwander*innen bei uns Fuß fassen und in der Gesellschaft ankommen.

Insbesondere die konkrete Frage der Bleibeperspektive ist entscheidend und muss daher im Zentrum stehen.

Viele der Menschen, die durch asylbezogene Zuwanderung zu uns kommen, haben eine realistische Bleibeperspektive und stehen dem Arbeitsmarkt voll zur Verfügung. Für sie benötigen wir individuell zugeschnittene Qualifizierungsmaßnahmen mit dem Ziel, sie besser und nachhaltiger für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Dabei ist zum einen eine auf den Einzelfall bezogene Erhebung vorhandener Kenntnisse und Qualifikationen wesentlich sowie zudem, dass zusätzlich zu den bereits vorhandenen Integrationsleistungen auch zusätzliche individuell angepasste Integrationsmaßnahmen wie z.B. berufsbezogene Sprachkurse oder das Nachholen fehlender Schul- oder Berufsabschlüsse angeboten und wahrgenommen werden.

Daneben wird es zentral sein, die Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse und Qualifikationen deutlich transparenter zu gestalten, zu beschleunigen und zu digitalisieren.

Für alle, die jedoch lediglich mit einer Duldung bei uns leben - dass sind zurzeit rund 22.000 Menschen und viele leben hier seit vielen Jahren mit diesem unbefriedigenden Status - muss ein Weg gefunden werden, diesem Status zu entkommen und eine verlässliche Bleibeperspektive zu schaffen. Denn dieser Status erschwert die Integration, belastet Arbeitgeber*innen ebenso wie die geduldeten Arbeitnehmer*innen und die Arbeitsverhältnisse insgesamt und hemmt das persönliche Engagement der Betroffenen, in unserer Einwanderungsgesellschaft anzukommen.

Mit dem Modellprojekt „Wege ins Bleiberecht“ hat das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gemeinsam mit dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat, der Migrationsberatung und drei kommunalen Ausländerbehörden erstmals ein Verfahren entwickelt, um Bleiberechtsperspektiven systematisch zu erfassen und zu realisieren. Im Rahmen des Projektes konnte für mehr als ein Drittel der langzeitgeduldeten Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht erreicht werden. Gleichzeitig wurden die Ausländerbehörden von der Bearbeitung regelmäßiger Duldungsverlängerungen entlastet. Seit Dezember 2022 wird das somit als erfolgreich anerkannte Projekt „Wege ins Bleiberecht“ mit angepasstem Konzept und Fokus auf den ländlichen Raum in drei weiteren Kommunen fortgeführt. Langfristiges Ziel muss es daher sein, perspektivisch in den Ausländerbehörden aller niedersächsischen Kommunen ein entsprechendes Verfahren zur systematischen Erfassung von Bleiberechtsperspektiven zu implementieren. Es gilt, auch dieses Ziel im Rahmen des Modellprojekts „Willkommenszentren“ in den Blick zu nehmen und die Ziele und Methoden des Projekts „Wege ins Bleiberecht“ auch im Rahmen des Modellprojekts „Willkommenszentren“ zu verfolgen.

All dies kann in einem Modellprojekt „Willkommenszentren“ durch die Bündelung von Kräften, Kompetenzen und Ressourcen sowie die enge Zusammenarbeit aller relevanten Akteur*innen in der Zuwanderungspolitik bei einer guten finanziellen wie qualifizierten und spezialisierten personellen Ausstattung erprobt werden. Wesentlich wird hier sein, dass die Zusammenarbeit institutionalisiert wird, Hemmnisse etwa im Bereich des Datenschutzes abgebaut werden und den hier arbeitenden Menschen freie Hand im Rahmen des vorhandenen Handlungs- und Entscheidungsspielraums eingeräumt wird.

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